Shutdown im Retail: Jetzt gehen im Handel die Lichter aus

27. März 2020

Sehr konsistente und relevante Zahlen, Daten und Fakten, wie sich die sozio-kulturelle Handelslandschaft gerade verändert – vielen Dank Hannes Lindner und seinem Team von Standort + Markt!

4 Mrd. € Umsatzverlust bei den Shopping Places in einem Monat schaffen die Chance neue Visionen umzusetzen. Wer jetzt schon anfängt seine Geschäftsräumlichkeiten – ich spreche sowohl vom Raum wie auch von der Internetpräsenz – umzugestalten, so dass sie zu Begegnungszonen werden, mit viel Wohlfühlqualität, langer Aufenthaltsdauer und sozialer Interaktionsmöglichkeit, der wird auch in Zukunft seine Daseinsberechtigung in der Handelslandschaft haben.

Real und digital wird eins, da führt kein Weg dran vorbei.
Das schaffen wir gemeinsam!

Hier ist der spannende Artikel zu lesen: 


Shutdown im Retail: Jetzt gehen im Handel die Lichter aus

von Hannes Lindner
CEO & Partner bei Standort + Markt

Wie bereits letzte Woche angekündigt haben wir von Standort + Markt/Baden unsere rund 46.000 Einträge umfassende Shopflächen-GIS-Datenbank nochmals strapaziert, um einer ganz wesentlichen Zahl nachzugehen: Wie viel Bruttoumsatz verliert der stationäre Einzelhandel pro Tag im Zuge des verordneten Shutdowns? Wer sich nicht durch unsere gewohnt sperrige, zahlen-lastige Aussendung quälen will – hier die Ergebnisse im Corona-Newsticker-Stakkato:

  •  Der österreichische stationäre Einzelhandel ist mit einem durchschnittlichen täglichen Umsatzverlust (brutto) von bis zu 113 Mio. € konfrontiert.
  • Der gesamte stationäre Einzelhandel verliert pro Shutdown Tag zumindest 46,4% seines täglichen Umsatzes.
  • Den mit 66,8% stärksten Umsatzverlust verzeichnet der stationäre Einzelhandel in den Cities, gefolgt von den Einkaufszentren mit durchschnittlich 65,2% täglichen Umsatzrückgang.
  • Der Shutdown kostet dem stationären Einzelhandel wöchentlich zwischen 500 und 700 Mio € brutto. Bei 26 Öffnungstagen könnte der fehlende Bruttoumsatz eines Monats bis zu 3 Mrd. € betragen.

Das wahre Ausmaß aus der Warte der österreichischen Shopping Places (Cities/EKZ/Fachmarktagglomerationen/Streulagen) liegt aber noch deutlich höher, weil Umsätze von Gastronomie und konsumnahen Dienstleistungsbetrieben (wie Friseure, Fitnesscenter, Kosmetiksalons, etc.) noch nicht eingerechnet sind.

  • Bezieht man alleine die entgangenen Umsätze der Gastronomie (von rund 44 Mio € brutto täglich) mit ein, erhöht sich der durchschnittliche tägliche Umsatzverlust (brutto) aus der Sicht der österreichischen Shopping Places auf 160 Mio €. Der Monatsumsatzverlust liegt damit auf Basis von 26 Öffnungstagen bei rund 4 Mrd. €.
  • Kernaussage in Ziffern: 3 + 1 = 4

3 Mrd. € Stationärer Einzelhandel + 1 Mrd. € Gastronomie = 4 Mrd. € Umsatzverlust bei den Shopping Places in einem Monat.

Mit diesem betont nüchternen, aber weder schönfärbenden, noch schwarzmalerischen Ausblick auf die sehr schwierigen kommenden Shutdown-Wochen machen wir uns wohl nicht besonders beliebt. Ein „Augen zu und durch“ in dieser Situation wäre aber fatal, besser ist jedenfalls ein „Augen auf und durch“, so unbequem auch unsere Zahlen erscheinen mögen. Lob in hohem Maße gebührt dennoch der österreichischen Handelslandschaft: Egal, ob SB-Warenhäuser, Verbrauchermärkte oder die bereits dichte Besetzung von Lebensmitteldiskontern mit ihrem hohem Non Food II Anteil – sie alle erweisen sich in diesen schwierigen Zeiten aus Konsumentensicht als perfekte Betriebstypen, als Alleskönner der Grundversorgung, als nahversorgende Kaufhäuser der jüngsten Generation. Das Angebot dieser Betriebe endet – zur Erleichterung und Freude der Konsumenten – nicht bei den von der Schließung ausgenommenen Warengruppen (Bereich Lebensmittel und Drogeriewaren), sondern ragt weit in den sogenannten „Non Food II Bereich“ hinein: Textilien, Elektronik, Wohnaccessoires, Werkzeug und weitere Artikel, die saisonal einfach Sinn machen, so jetzt auch in den kommenden Tagen etwa Blumenerde und Pflanzen.

Bemerkenswert ist auch, dass just die (aufgrund des Flächenverbrauchs und der Angewiesenheit auf den motorisierten Individualverkehr) zuletzt stärker ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen autokundenorientierten, flächenintensiveren Betriebsformate wie Verbrauchermärkte oder SB-Warenhäuser sich besonderer Beliebtheit erfreuen dürften. Ist es das besonders breite Warenangebot, die großzügigeren Gänge, die bequeme Erreichbarkeit mit dem Pkw oder eine Kombination aus all dem, hier scheinen jedenfalls die Kassen besonders stark zu klingeln. Ganz im Gegensatz zu vielen kleineren Lebensmittelanbietern wie etwa Bäckern, deren Erfolg stark von der Passantenfrequenz abhängt und die aufgrund des eingeschränkten Warenspektrums derzeit nicht primär im Fokus eines Wocheneinkaufs stehen.

Generell zeigt sich, dass Standorte mit vormals extrem weitläufigen Einzugsgebieten und entsprechend hoher Passantenfrequenz wie etwa die Wiener Mariahilfer Straße oder die Herrengasse in Graz Frequenzeinbrüche von über 90% erleiden. Die heute vorliegende Angebotsstruktur in diesen ehemaligen Hot Spots ist auf ein großes Einzugsgebiet mit entsprechend hohem Kundenaufkommen angewiesen. Kurzum: die bisherigen Standort-Gesetzmäßigkeiten vor Corona sind durch den exogenen Schock der massiven Bewegungseinschränkung derzeit außer Kraft gesetzt. Was gestern Top war, kann in der momentanen Situation ein fürchterlicher Flop sein: Ehemalige Top-Standorte mit richtig üppigen Einzugsgebieten werden derzeit zu Nahversorgungsstandorten degradiert. Das fatale dabei ist, dass die Kosten just dieser Top-Standorte erheblich sind. Es tut sich damit unweigerlich eine gewaltige Schwere auf: Niedrigste Umsätze bei sehr stolzen Standortkosten, dazu natürlich Personalkosten und möglicherweise höhere Abschreibungen durch größeren Verderb. Wir gehen davon aus, dass primär Großformate für den Wocheneinkauf und Lebensmitteldiskonter vom neuen räumlichen Käuferverhalten profitieren. Damit bringen wir gleichzeitig zum Ausdruck, dass die von uns prognostizierten Umsätze in den noch offenen Geschäften sich kaum wie in der Situation vor dem Shutdown verteilen, vormals frequenzumspülte Standorte trocknen derzeit aus, die Umsätze verteilen sich nicht wie zuvor. Diese spezifische Situation wurde in unserer obigen Modellierung übrigens noch nicht berücksichtigt, Innenstädte könnten damit noch stärker unter Druck sein als es ohnehin heute schon im Zahlenwerk ersichtlich ist.

Der derzeit (möglicherweise im größeren Umfang als üblich) stattfindende Verkauf von Non Food II Artikeln durch Anbieter aus dem Kerngeschäft „Lebensmittelhandel“ dürfte bereits heute den Unmut von so manchen Handelsbetrieben schüren, die (großteils) entweder schließen mussten oder (zu einem geringeren Teil) zwar offenhalten, aber das Non Food II Sortiment nicht verkaufen dürfen und dieses räumlich abzutrennen haben. Die Maßnahmen werden zwischenzeitlich von manchen Händlern zum Teil als stark wettbewerbsverzerrend wahrgenommen, ein in dieser Situation vielleicht aufs erste befremdlich wirkender Reflex, den wir aber schlussendlich weniger der Kategorie „Neid“ zuordnen als einer puren, tiefen Angst und Sorge um die eigene Zukunft: die Corona-Krise ist ein Brandbeschleuniger in der ohnedies schon angespannten Handelssituation. Solide Betriebe mit ausreichender Liquidität werden die Konkurrenten, die zuvor schon wirtschaftlich angeschlagen waren, beispiellos überholen. „Cash ist King“, althergebracht, aber wahr: Betriebe mit „Cash“ werden in der Reboot-Phase erhebliche Mittel für Marketing, Übernahme der besten Standorte ehemaliger, in Konkurs gegangener Konkurrenten sowie für den Umbau und die Digitalisierung der eigenen Läden einsetzen. Die Kluft zwischen gesund, krank und notleidend wird deutlich zulegen. In wie weit sich in dieser Situation kleine Handelsbetriebe behaupten können wird sich weisen, – „klein, wirtschaftlich solide und wendig“ könnte so manchen Tanker mit den Attributen „groß, angeschlagen, träge“ schlagen. Fest steht bereits heute: Die Dauer der Krise hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit direkten Einfluss auf die Zahl und Vielfalt der zukünftig am Markt agierenden stationären Händler.

 

Weitere Information zum Unternehmen Standort + Markt finden Sie hier:
http://www.standort-markt.at